Vorstudie zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt

Am 26. Januar erschien die „Vorstudie zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in den Jugendverbänden und den Strukturen des BDKJ“. Mit dieser Vorstudie verfolgten die Jugendverbände im BDKJ das Ziel, bekannte Fälle sexualisierter Gewalt in den Jugendverbänden im Zeitraum von 1945 bis 2021 systematisch zu erfassen. Um möglichst alle bekannten Fälle zu erfassen, wurden sämtliche  Jugendverbände auf Bundesebene (16 Jugendverbände) und BDKJ-Diözesanverbände (26 Diözesanverbände) eingeladen, sich an einer Fragebogenumfrage zu beteiligen.

Ergebnisse

Von 98 Rückmeldungen aus Jugend- und Diözesanverbänden wiesen 29 Rückmeldungen auf 121 (Verdachts-)Fälle von sexualisierter Gewalt.

  • Der Großteil dieser Fälle liegt im Zeitraum zwischen 2010 und 2021 (72 Fälle).
  • Tatsächlich wurden die meisten Fälle sexualisierter Gewalt im selben Jahr oder bis zu einem Jahr später gemeldet. Sofern eine größere Zeitspanne zwischen Tatzeitpunkt bzw. Tatzeitraum und Bekanntwerden lag, betraf es überwiegend Erfahrungen sexualisierter Gewalt, die länger zurückliegen.
  • Als Tatkontexte werden am häufigsten Jugendfreizeiten oder Ferienlager (59,50 %) benannt. Darüber hinaus werden auch Jugendgruppen oder Gruppenstunden (18,18 %), Konferenzen oder Versammlungen (10,74 %) sowie private Treffen (13,22 %) häufig genannt.
  • 35,54 % der Betroffenen sind männlich, 62,81 % weiblich. Bei den Betroffenen handelt es sich in 65,29 % um Teilnehmer*innen von Angeboten; in 58,68 % um Mitglieder im Jugendverband.
  • Das Alter der Betroffenen zum Tatzeitpunkt bzw. Tatzeitraum liegt zwischen 5 und 29 Jahren. In 80,17 % und somit im Großteil der 121 berichteten Fälle handelt es sich um minderjährige Betroffene. Das durchschnittliche Alter der Betroffenen beträgt 14,27 Jahre.
  • In 95,04 % handelt es sich um männliche, in 1,65 % um weibliche Täter*innen. In 3,31 % der Fälle ist das Geschlecht der Tatperson unbekannt. In ca. der Hälfte der berichteten Fälle um ehrenamtliche Gruppenleitungen.

Aus Hamburg haben wir 4 Fälle sexualisierter Gewalt aus den Zeiträumen 1946 bis 2020 an die Vorstudie gemeldet.

Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse bestätigen, dass auch in der katholischen Jugendverbandsarbeit als Sozialisationsort von Kindern, Jugendlichen und junger Menschen sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche stattgefunden hat. Bislang seien Ehrenamtliche und Peers als Tatpersonen oder katholische Jugendverbände als mögliche Tatkontexte in den Gutachten zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche allerdings nicht ausreichend berücksichtigt worden. Der Schwerpunkt habe bisher auf Priestern, Klerikern und hauptamtlich Tätigen gelegen. Ehrenamtliche Strukturen und Peer-Gewalt würden jedoch eigenständige Risikomerkmale aufweisen. Damit unterstreichen die Ergebnisse die Notwendigkeit weiterer Forschung zu sexualisierter Gewalt in katholischen Jugendverbänden und in den Strukturen des BDKJ, um durch weitere Analysen und daraus folgenden Veränderungen von Strukturen junge Menschen besser vor sexualisierter Gewalt in Jugendverbandskontexten schützen zu können.
Dass sich der überwiegende Teil der bekannten Fälle zwischen 2010 und 2021 ereignete, spricht weniger für eine massive Zunahme sexualisierter Gewalt, als für eine erhöhte Sensibilisierung und ein erhöhtes Bewusstsein gegenüber sexualisierter Gewalt und Aufarbeitungsprozessen, um junge Menschen vor sexualisierter Gewalt in Jugendverbandskontexten zu schützen. Da die Vorstudie sich darauf konzentrierte, die bekannten Fälle systematisch zu erfassen, ist stattdessen zu vermuten, dass das eigentliche Ausmaß sexualisierter Gewalt vor 2010 noch nicht bekannt ist. Dementsprechend weisen die erfolgten Rückmeldungen auch auf eine hohe Bereitschaft zur Aufarbeitung und Thematisierung sowie zur Etablierung von Schutzkonzepten und Präventions- und Interventionsmaßnahmen hin.

Konsequenzen

Obwohl uns als Jugendverbänden der Einsatz für Kinderrechte und Mitbestimmung ein elementares Anliegen ist, kommt es in unseren Kontexten bis heute zu sexualisierter Gewalt gegenüber Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Tatsächlich verpflichten uns nicht unsere eigenen Ansprüche oder gesetzliche Vorgaben dazu, diese Gewalt und das Leid zu verhindern. Unsere Pflicht folgt vor allem aus unserer Verantwortung den Betroffenen gegenüber. Schon allein die systematische Erfassung der bekannten Fälle sexualisierter Gewalt führt uns die Notwendigkeit vor Augen, unsere Präventionsarbeit weiter zu verbessern und den mit der Vorstudie eingeschlagenen Weg der Aufarbeitung weiter zu gehen. Wir unterstützen daher die Pläne unseres Bundesverbandes, eine Aufarbeitungskommission einzusetzen, die mit Hilfe einer breiter angelegten „Hauptstudie“ Rückschlüsse auf systemische Ursache ziehen und daraus Handlungsempfehlungen für die katholischen Kinder- und Jugendverbände ableiten soll.

 

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By | 2023-02-02T14:05:41+02:00 Januar 30th, 2023|katholisch, Prävention|0 Comments