Taten von sexualisierter Gewalt sind seit langem ein Problem in der katholischen Kirche, welche durch die kirchlichen Strukturen begünstigt werden. Um diese Verbrechen gründlich aufzuarbeiten, müssen nicht nur Täter*innen zur Rechenschaft gezogen werden, sondern alle, die Taten ermöglicht, verschwiegen oder deren Aufarbeitung blockiert haben.
Der BDKJ Hamburg fordert daher das Erzbistum Hamburg und Erzbischof Stefan Heße dazu auf:
- Die rechtlichen Voraussetzungen zur Öffnung des Diözesanarchivs und des Geheimarchivs analog zum Stasi-Unterlagengesetz zu schaffen, um zu verhindern, dass sich Missbrauchstäter hinter dem Persönlichkeitsrecht verstecken.
- Sich bei der Deutschen Bischofskonferenz und der Deutschen Ordensobernkonferenz dafür einzusetzen, dass die Öffnung sämtlicher relevanten Archive in allen deutschen Bistümern und Orden erfolgt.
- Abweichend von den Ergebnissen der 2020er Vollversammlungen der Deutschen Bischofskonferenz sich bei materiellen Leistungen im Rahmen der Anerkennung des Leids im Erzbistum Hamburg nicht an den gängigen Schmerzensgeldtabellen zu orientieren, sondern Leistungen zu zahlen, die die erlittenen Folgeschäden der Betroffenen vollumfänglich berücksichtigen.
- Sich bei der Deutschen Bischofskonferenz für eine Regelung entsprechend Punkt 3 einzusetzen.
- Sich dafür einzusetzen, dass die im Zuge des vom damaligen Kardinalpräfekten Joseph Kardinal Ratzinger verfassten Schreibens „De delictis gravioribus“ in den Vatikan verbrachten Akten über Missbrauchsfälle nach Deutschland zurückgeholt und Staatsanwaltschaft und Forschung vollumfänglich zugängig gemacht werden.
- Jährlich einen Bericht zu veröffentlichen, der den Stand der Aufarbeitung sowie eine statistische Erfassung eingegangener und bearbeiteter Fälle im Erzbistum Hamburg darstellt, und diesen Bericht umgehend der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
Der BDKJ Hamburg fordert Erzbischof Stefan Heße dazu auf:
- Einer Veröffentlichung der Ergebnisse der Studie der Münchner Kanzlei Westphal, Spilker, Wastl nicht länger entgegenzuwirken.
- Sich seiner Verantwortung in Bezug auf die Vorgänge während seiner Amtszeit als Personalchef und Generalvikar im Erzbistum Köln zu stellen und sein Amt als Erzbischof ruhen zu lassen, bis die Vorwürfe aufgeklärt wurden.
- Öffentlich zu versichern, dass während seiner Amtszeit als Erzbischof im Erzbistum Hamburg jeder Vorfall zur Anzeige gebracht wurde und weiter wird, die Missbrauchstaten an minderjährigen und erwachsenen Schutzbefohlenen konsequent geahndet wurden und werden und dass die Auflagen an Kleriker, die sexuell missbraucht haben, nachhaltig vor Ort überprüft werden und in Zweifelsfällen für die Betroffenen entschieden wird.
Außerdem fordern wir die Deutsche Bischofskonferenz dazu auf:
Öffentlich und eindeutig ihre Schuld zu bekennen und Konsequenzen aus ihrer Verantwortung zu ziehen.
Bereits im Jahr 1993 forderte der BDKJ in einem an die Gremien der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) verschickten Papier, das Thema sexuelle Gewalt in die Lehrpläne für die Aus- und Fortbildung zu integrieren, kirchliche Beratungsstellen für die Betroffenen einzurichten und Therapieplätze für die Täter bereitzustellen. 1995 forderte die damalige Vorsitzende Karin Kortmann: „Kein Vertuschen, kein Verharmlosen, sofortige Suspendierung!“ In Deutschland sollte sich jedoch lange Zeit nichts ändern.
Nachdem in den USA bereits 2005/2006 durch die sogenannte John-Jay Studie das Ausmaß sexuellen Missbrauchs in und durch die Kirche wissenschaftlich erfasst worden ist, kam die dringend benötigte öffentliche Debatte hier erst 2010 durch Bekanntwerden der Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg und den konsequenten Einsatz des damaligen Rektors Pater Klaus Mertes SJ zustande.
Während sich im Anschluss daran besonders im Bereich der Prävention vor sexualisierter Gewalt viel getan hat, scheint dies im Bereich der Aufarbeitung und Aufklärung bis heute nicht der Fall zu sein.
Schonungslose Aufklärung?
2018 gab die sogenannte MHG-Studie einen wissenschaftlich fundierten Eindruck vom Ausmaß der sexualisierten Gewalt durch Kleriker innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland. Allerdings war die Studie im ersten Anlauf gescheitert, weil die teilnehmenden Wissenschaftler*innen die Forschungsbedingungen als unzumutbar empfunden hatten. Zur Entstehungsgeschichte der Studie gehört auch, dass es nachweislich Aktenmanipulationen in einigen Bistümern gegeben hatte, und dass die Forscher*innen keinen direkten Zugang zu den Originalakten bekommen hatten, sondern lediglich kirchliche Mitarbeiter*innen mit Fragebögen in die Archive schicken durften.
Anerkennung des Leids?
Die DBK hat in ihrer Vollversammlung im Herbst beschlossen, sich bei Zahlungen an die Betroffenen am oberen Bereich gängiger Schmerzensgeldtabellen zu orientieren. Das klingt hoch, ist aber wenig. Vor allem ist es weniger, als in verschiedenen Modellen, die unter kirchlicher Mitwirkung entstanden sind und bereits auf dem Tisch lagen, vorgeschlagen wurde. Und vor allem wurde auch in diesem Fall die Gelegenheit verpasst, die Betroffenen angemessen in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Basis der Zahlungen sollte sein, dass das Leid der Betroffenen nicht nur durch Schmerzensgeld anerkannt wird, sondern dass sie für die durch das Leid entstandenen Folgekosten entschädigt werden.
Eine materielle Entschädigung allein ist nicht hinreichend für eine umfassende Anerkennung des Leids. Es geht auch um die Anerkennung der Erfahrungen, die Betroffene mit unserer Kirche machen mussten. Zu dieser Schuld muss sich die Kirche bekennen und die Täter der Schwere ihrer Taten entsprechend sanktioniert werden.
Übernahme von Verantwortung?
Er könne nicht Richter in eigener Sache sein, sagt Erzbischof Heße in Bezug auf die Vorwürfe gegenüber seines Umgangs mit Missbrauchsvorwürfen als Personalchef und Generalvikar in den Jahren 2006 bis 2015 im Erzbistum Köln. Deswegen solle: „auf meine Bitte hin […] Rom prüfen, ob die dann vorliegenden Untersuchungsergebnisse Auswirkungen auf mein Amt als Erzbischof in Hamburg haben.“
Man übernimmt jedoch keine Verantwortung, indem man die Entscheidung über die Konsequenzen seines Handelns an andere delegiert.
Auch auf das Wirken Erzbischof Heßes hin wird das Gutachten, welches die Münchner Kanzlei Westphal, Spilker, Wastl zum Kindesmissbrauch im Erzbistum Köln angefertigt hat, aufgrund rechtlicher Bedenken bis heute zurückgehalten.
In einem den Medien vorliegenden Auszug heißt es: „Dieser Befund gestattet die Schlussfolgerung, dass es sich bei den Unzulänglichkeiten, einschließlich fehlender Opferfürsorge, nicht um Einzelfälle handelt, sondern um regelmäßig wiederkehrende, durchgängig festzustellende Mängel in der Sachbehandlung von Missbrauchsfällen basierend auf einer indifferenten, von fehlenden Problembewusstsein geprägten Haltung des Dr. Heße gegenüber Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker.“
Erzbischof Heße bestreitet die erhobenen Vorwürfe. Doch ohne Veröffentlichung des Gutachtens ist es niemandem möglich, sich in dieser Sache ein Urteil bilden zu können. Dass dies in naher Zukunft geschehen wird, erscheint angesichts des Verlaufs der Aufarbeitung im Erzbistum Köln alles andere als sicher.
Insgesamt zeigt sich hier leider erneut, dass unsere Kirche unfähig ist, über eine allgemeine Anerkennung von Schuld hinaus Konsequenzen im Einzelnen zu ziehen: Bis heute hat kein deutscher Bischof wegen des Missbrauchsskandals Verantwortung übernommen und persönliche Konsequenzen gezogen. Stattdessen ist bislang gar nichts passiert.
Als im Jahr 2016 der Erneuerungsprozess im Erzbistum Hamburg begann, lief dieser unter dem Motto:
„Herr, erneuere deine Kirche und fange bei mir an.“
Wir wünschen uns von Erzbischof Stefan Heße und allen Verantwortungsträgern unserer Kirche, dass sie sich diesen Satz zu Herzen nehmen.
Download:
Es reicht! Wir fordern Konsequenzen aus dem Umgang unserer Kirche mit den Missbrauchsfällen und den Betroffenen (Beschlusstext)